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Anders wird gut.
24.6.2024
Grußwort zur Synode des Ev. Kirchenkreises Siegen-Wittgenstein am 21. Juni 2024
von Landeskirchenrat Dr. Jan-Dirk Döhling
„Anders wird gut“ - liebe Geschwister in Siegen und Wittgenstein. Das Buch mit diesem Titel liegt seit Wochen auf meinem Schreibtisch. Aber ich habe kaum darin gelesen. Immerhin bestellt, habe ich es aber sofort, als ich die Rezension im Radio darüber hörte, obwohl da auch kritische Töne angeschlagen wurden zu Konzept und Ausrichtung.
„Anders wird gut.“ Zwei Journalist*innen, Verena Carl und Kai Unzicker haben es geschrieben, die Bertelsmannstiftung hat es herausgegeben und es enthält – so der Untertitel – „Berichte aus der Zukunft des gesellschaftlichen Zusammenhalts“.[1]
Good practise Beispiele, Geschichten und Analysen trägt es zusammen aus vielen gesellschaftlichen Streit- und Problemfeldern, von Migration bis Mädchenpolitik, von New Work bis ländlicher Raum, vom E-Learning zum Ehrenamt gehen die Themenbereiche und immer wird sehr konkret erzählt und berichtet, von Orten, Vereinen, Gemeinschaften und Einzelnen, die etwas oder gleich alles, ein wenig oder ganz anders gemacht haben – und was daran gut war, wurde und weiter werden soll.
Bestellt habe ich das Buch, weil ich als Kirchenmensch und einer der die gesellschaftliche Verantwortung von Kirche begleiten und mitgestalten soll – diese drei Worte so inspirierend, anregend und treffend finde. „Anders wird gut“.
Warum ich das Buch bisher noch nicht gelesen habe? Nun ja, vielleicht, weil ich mich frage, ob das Buch selbst eigentlich überhaupt so gut sein kann, wie der Titel verspricht.
Vielleicht aber auch, weil ich – wie viele in der Kirche – derzeit, so kommt es mir vor, immer noch und immer mehr damit beschäftigt bin, dabei zu helfen, daran mitzuarbeiten und dafür zu sorgen, dass es so bleibt und so weiter geht wie bisher …
Ein weiterer Grund mag der sein, dass hinter der Bertelsmannstiftung der Penguin-Randomhouse, RTL-Bertelsmann-Konzern steht, einer der größten Medien- und Unterhaltungskonzerne der Welt. Da darf man womöglich nachdenklich werden, ob da denn auch im Großen etwas anders werden oder weiß, vielleicht manches, möglichst genauso bleiben wie’s ist. Aber das ist ja nicht Thema dieses Buches.
Vielleicht zögere ich aber auch schlicht deshalb mit dem Lesen, weil ich beim Durchblättern des Buches bisher noch kein Beispiel aus Religion und Kirche gefunden habe. Kann das sein? Fehlt da nicht was? Und wenn ja wo?
III.
„Anders wird gut“ Wie wohl der Titel heißen würde, wenn ich, wenn wir in der EkvW, wenn Sie hier in Siegen und Wittgenstein ein Buch betiteln müssten mit drei Worten übers Anders werden.
‚Anders geht auch‘? ‚Anders macht Lust‘? ‚Anders geht besser?‘
Ich gestehe, das sind jedenfalls oft meine ersten Bauchgefühle und Spontanantworten, wenn ich ans Anderswerden in der Kirche denke, heißen eher: ‚Anders wird weniger, anders wird doof, anders geht nicht‘
Täuscht mein Eindruck oder gehen wir in der Kirche bisher noch immer und vielleicht sogar jetzt erst recht, nicht so optimistisch mit der kaum zu leugnenden Tatsache um, dass es anders wird? Und wenn ja, warum?
Besonders selbstverliebt oder verliebt in den status quo – so mein Eindruck – sind wir nicht in der Kirche. Wir sind kritisch mit uns, am kritischsten vielleicht mit anderen von uns. Und wir sind unzufrieden – und das mit Gründen.
Wir spüren oder wissen es längst – spätestens seit der Forumstudie, seit der Haushaltskrise, seit dem Rücktritt unserer Präses – vieles ist nicht gut, so wie es ist und wäre nicht auch wenn es bleiben könnte wie’s ist. Besonders zukunfts- und veränderungsverliebt – und dann auch veränderungsfähig oder gar -fröhlich, sind wir auch eher nicht.
Das ist verständlich – und es ist merkwürdig. Verständlich ist es, weil wir in Zeiten leben, in denen so vieles so schnell so anders wird, dass wir kaum hinterherkommen und man es mitunter mit der Angst zu tun bekommen kann. Vielleicht gar muss. Vom Klima- bis zum Sozialsystem, von der politischen Ordnung in Europa, in der Welt, in unserem Land, von der Arbeitswelt bis zur Demografie und zu den öffentlichen Haushalten sind wir – so scheint es – an Kipppunkte gekommen. Wir leben in Zeiten, in denen irgendwie alles zugleich immer mehr und immer weniger wird. Noch mehr Emissionen, noch mehr Konflikte, noch mehr Menschen, die mit vollem Recht ein Stück vom immer kleiner, älter und trockener werdenden Kuchen wollen. Und es wird zugleich immer weniger; immer weniger Geld, weniger Fachkräfte, weniger Artenvielfalt, weniger Mitglieder, weniger gesellschaftliche Relevanz und Kirchensteuern.
Denn ja, die Kirche ist als große gesellschaftliche Institution, als Arbeitgeberin, als kulturelle, als soziale Kraft, als Sinnstifterin und Orientierungsgeberin – und auch noch als Kritikerin – in all dies tief verwoben. Und so wichtig und richtig, so komfortabel und notwendig diese tiefe Einbindung in die Gesellschaft war und weiterhin ist, so kritisch ist sie nun auch geworden. Mitgehangen, mitgefangen. Weiß Gott, es ist verständlich da ratlos, und ängstlich zu sein und zu werden.
III.
Aber merkwürdig ist auch. Denn der christliche Glaube und die kirchliche Tradition haben doch tiefgründige und kräftige Bilder der Transformation, die bei uns und unter uns wirksam sein könnten. Und die Bibel schreibt uns mächtige Worte und Träume des Anderen ins Herz und hinter die Ohren, die wir wahrnehmen und als wahr nehmen könnten. Gericht ist so ein Transformations-Macht-Wort – Reich Gottes ein anderes.
Zugegeben, von Gericht zu reden ist aus der Mode gekommen und das nicht zu Unrecht. Aber auch nicht ohne Perspektivverlust. Denn wer ‚Gericht‘ sagt, statt Krise, Problem, Komplexität, ‚Gericht‘ statt Soziologie, Demografie, Relevanzverlust und Institutionenkrise, der oder die bekommt es mit sich selbst zu tun und den eigenen Anteilen am großen Schlamassel. Und das ist gut.
Und wer ‚Gericht‘ sagt, der oder die bekommt es mit Gott zu tun – und das ist besser. Mit Gott statt mit den anderen, die gefälligst doch auch einmal … und am besten erstmal, mit Gott statt mit den Verhältnissen, die nun einmal so sind … und mit Sachzwängen, die eh niemand ändern …
Wer ‚Gerich‘ sagt, bekommt es mit Gott zu tun, der drängelt und schüttelt, schiebt und schubst, schimpft und schweigt … damit es anders, damit es gut wird und uns zutraut, das Unsere daran und dafür zu tun. Gott sei Dank!
„Fügt Euch nicht ins Schema dieser Welt ein – so schreibt der Apostel Paulus nach Rom – sondern lasst Euch verwandeln durch die Erneuerung Eures Sinnes, dass ihr zu prüfen vermögt, was der Wille Gottes ist. Das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene“ (Röm 12,2).
Reich Gottes – so heißt das andere große Veränderungswort der biblischen Tradition. Gottes Bericht aus der Zukunft, nahe herbeigekommen in dem Menschen- und Gottessohn Jesus Christus: Alle an einem Tisch und Gott selbst lädt ein. Fünf Brote und zwei Fische, und es reicht für alle und für noch viel mehr … Senfkorn kleine Anfänge, die groß werden wie ein Baum und die Vögel des Himmels kommen und wohnen in seinen Zweigen. „Jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“
Gottes Bericht aus der Zukunft, die schon im Kommen ist, ja mehr noch, mitten unter Euch, wie Jesus sagt. Unter uns – und den anderen.
„Und nun kommt denn es ist alles bereit“ Tut das Eure. „Aber schmeckt auch und seht, wie freundlich Gott ist.“
II.
Nach zwölf Jahren Amtszeit, lieber Peter geht heute oder genauer gesagt morgen deine Zeit als Superintendent des Kirchenkreises Siegen und dann auch Wittgenstein zu Ende. In diesen Jahren hast du mehrfach, womöglich täglich wahrgenommen, dass es anders wird und du hast mit vielen anderen dazu beigetragen, dass es nicht nur anders wird – das wird es sowieso – sondern darin, dennoch und eben deshalb auch gut wird – und hier und da sogar besser. Beherzt und behutsam, besonnen, leidenschaftlich, klug und fromm. Und hierfür will ich Dir, obwohl das Grußwort zur Verabschiedung dann ja offiziell erst morgen stattfinden wird, hier und jetzt schon einmal ein herzliches Gott sei Dank sagen. Anders wird es dann auch für dich, für Euch werden, dich und deine Frau, freier, unbeschwerter, un-öffentlicher, persönlicher, freier. Anders wird gut, lieber Peter, das wünschen wir Euch.
Klar ist, auch – selbst wenn alles sonst gleichbliebe und das tut es nicht – dass ‚es‘ für einen Kirchenkreis, für ein Kreiskirchenamt anders werden wird, wenn ein, nein, wenn viele Leitungswechsel an der Spitze und in den Gremien eines Kirchenkreises anstehen.
Gott klont nicht, Gott schafft Neues, schützt und schimpft, schon und schirmt – trotz und mit uns.
Wie sollte es also anders als anders werden; wenn Gott aus der Fülle seiner Möglichkeiten Menschen in seinen Dienst ruft und ihnen dort Möglichkeiten zuspielt, Begabungen, Fähigkeiten, auch Grenzen, aber eben dort auch Gesprächspartner*innen und Weggefährt*innen.
Wer sich zur Wahl stellt, ist bereit Verantwortung zu übernehmen und wer wählt, ist es auch.
So lautet auch heute und hier die Verheißung und das gute ist, darin lässt Gott uns gar nicht Wahl. Sie gilt für jeden und jede auf den die Wahl fällt
Anders wird gut!
Anders wird gut. Gott sei Dank!
Es gilt das gesprochene Wort.
[1] Gütersloh 2023.
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