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Von der Sehnsucht nach einer besseren Welt - Gedenken an Opfer der Messerattacke
2.9.2024
Fröhlich feiern. Gott loben. Danken für all das Gute, das die Stadt hat wachsen und werden lassen; gemeinsam bitten für die gute Zukunft eines Gemeinwesens, das allen Menschen Raum gibt – zum Leben, Lernen, Arbeiten. „Das war der Plan“, sagte Peter-Thomas Stuberg, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Siegen-Wittgenstein, am Beginn des ökumenischen Gottesdienstes, der am 31. August morgens auf dem Platz am Unteren Schloss stattgefunden hat. Als Auftakt zu zwei weiteren Tagen, an denen das 800-jährige Bestehen der Stadt Siegen mit einem großen Fest begangen werden sollte.
Doch das Vorzeichen hatte sich geändert: von fröhlich-unbeschwert zu nachdenklich-gedankenschwer. Schon das schlimme Attentat von Solingen hatte seine Schatten bis nach Siegen geworfen. Aber mit der Messerattacke in einem Bus-Shuttle zum Stadtfest unterm Krönchen kam am Freitag der Schrecken noch näher, war das Erschrecken groß, die Verzagtheit auch. Sechs Menschen hatte eine 32-jährige Frau verletzt, drei von ihnen so schwer, dass ihr Leben in Gefahr geriet. Sämtliche Insassen des Busses, der auf dem Weg von Neunkirchen nach Siegen kurz vor der Ortseinfahrt von Eiserfeld so brutal zum Halt gezwungen war, wurden von Panik, Angst und Ohnmacht erfasst.
„Da kann man nicht zur Tagesordnung übergehen“, unterstrich Stuberg, der den Gottesdienst gemeinsam mit dem Dechanten des Dekanats Siegen, Karl-Hans Köhle, leitete. Beide fanden den richtigen Ton, um der Trauer Ausdruck zu geben, dem Gedenken an die Opfer von Gewalt – in Siegen, in Solingen und vielerorts auch. „Es ist gut, dass wir Gottesdienst feiern und Gott um Frieden, Segen und Hilfe bitten können“, so der Superintendent. Er benannte auch, was der verbrecherischen Tat oft auf dem Fuße folgt: „das Misstrauen gegenüber dem Anderen, das vieles zu vergiften droht.“ Dem und auch der Gewalt stelle man sich entgegen, indem man dennoch feiere und „ein offenes Gesicht zeige“. In einem Gebet formulierte er die Bitte, „Unterschiede und Verschiedenheiten auszuhalten“, sprach von gegenseitiger Achtung und einem Weg des Friedens. Eine brennende Kerze symbolisierte die Ernsthaftigkeit des Anliegens, leuchtete als Hoffnungszeichen.
Viel war im Verlauf dieses von rund 600 Menschen besuchten Gottesdienstes zu hören und zu spüren von der Sehnsucht nach einer besseren Welt. Ohne Dunkel, Gier oder Verächtlichkeit, voller Vertrauen und Licht und grenzenlos – eben so, wie es jener Song von Cassandra Steen und Adel Tawil beschreibt, der dieser Veranstaltung im Zuspiel mit einem Wort aus Psalm 85 den inhaltlichen Rahmen gab: „Ich bau ‘ne Stadt für dich – Wenn Gerechtigkeit und Frieden sich küssen.“
Dieses Thema spiegelte sich in gemeinsamen Liedern und Vortragsstücken, es wurde konkret in den Bildern, auf denen Jugendliche aus dem Jugendzentrum „Wolke 8“ ihre „Best Places“ von Siegen zeigten, und in einer Predigt, die letztlich auf das Ideal einer Stadt verwies: das himmlische Jerusalem. Wie ein Stück Himmel auf Erden Wirklichkeit werden kann, darauf verwies Köhle in der Weiterführung des Stuberg’schen Vortrags. Folge man dem Doppelgebot der Liebe, das zur Gottes-Liebe und zur Nächsten-Liebe aufrufe, dann gelte es, für die Menschenwürde einzutreten, gegen Fremdenhass und Antisemitismus aufzustehen, den Dialog mit anderen Religionen zu suchen, Hunger zu stillen, sich für Frieden einzusetzen. „So können wir eine neue Stadt bauen“, so der Dechant. „So können wir Gerechtigkeit üben.“
Weil gerade ein Bürgermeister in krisenhaften Zeiten besonders herausgefordert ist, war das Überreichen einer Segenskerze der beiden Geistlichen, flankiert von Rüdiger Czycholl und Günter Ankele aus der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen im Siegerland, an den Siegener Verwaltungschef Steffen Mues, ein sehr bewusster Akt. Später warb Mues bei der offiziellen Stadtfest-Eröffnung sehr engagiert dafür, die Welt nicht in Schwarz und Weiß einzuteilen, sondern Urteile aufgrund von Fakten zu fällen. „Die Heldinnen am Freitag waren drei Frauen mit Migrationshintergrund. Sie haben Schlimmeres verhindert“, so der Bürgermeister – mit Rückenwind auch von NRW-Innenminister Herbert Reul, der den ökumenischen Gottesdienst in der ersten Reihe mitfeierte.
In seiner Funktion als Superintendent war es die letzte große Veranstaltung, die Peter-Thomas Stuberg mitgestaltet hat. Eine besondere Würdigung gab es dafür von Karl-Hans Köhle: Der Dechant dankte für eine zwölf Jahre lange geschwisterliche Zusammenarbeit und überreichte einen bunten Strauß Blumen.
Als am Ende des Gottesdienstes das Blechbläserensemble Pro Musica Sacra und die eigens formierte Band mit Luisa Mann (Gesang), Peter Sziburies (Gitarre), Andrejan Becker (Bass), Moritz Mann (Schlagzeug) unter Leitung von Kreiskantor Peter Scholl (auch Piano) noch einmal das „Ich bau dir ‘ne Stadt“ anstimmten, packte es die Menschen auf dem Platz. Sie klatschten, sangen, tanzten mit. Kirchentagsstimmung. Das Schwere hatte bei Gott einen Adressaten gefunden und die Seele ein Stück Leichtigkeit zurück. Es war ein guter Plan, den Stadtfest-Samstag mit einem Gottesdienst zu beginnen!
Claudia Irle-Utsch
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