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Ex-Botschafter von Fritsch bei Jubiläum der EFL-Stiftungen
4.4.2023
Er kennt die deutsche und internationale Politik aus innerster Anschauung, war Botschafter in Polen und Russland und ist spätestens seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gefragter Talkshow-Gast. Und Rüdiger Freiherr von Fritsch wurde in Siegen geboren, verbrachte hier die ersten vier Jahre seines Lebens und wurde in der Nikolaikirche getauft. Jüngst kehrte der Diplomat in seine Geburtsstadt zurück, um auf der Jubiläumsveranstaltung der EFL-Stiftungen über die Thesen seines im Mai 2022 erschienenen Buches „Zeitenwende: Putins Krieg und die Folgen“ zu sprechen. Ein politisches Thema, das durchaus eine Verbindung zur Arbeit der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle (EFL) des Evangelischen Kirchenkreises Siegen-Wittgenstein hat: Schließlich schlagen sich die Verunsicherung durch den Krieg und die Belastungen durch die zwischenzeitlich stark gestiegenen Energiepreise auch in den Beratungsanfragen nieder.
Zehnjähriges Stiftungsjubiläum
Vor allem aber wurde am Donnerstagabend ein bemerkenswertes Jubiläum gefeiert: Bereits im vergangenen Jahr jährte sich die Gründung der EFL-Stiftung und des EFL-Fonds in der Bürgerstiftung Siegen zum zehnten Mal. Aufgrund von Verschiebungen durch die Corona-Pandemie wurde die Jubiläumsfeier nun im Haus der Siegerländer Wirtschaft nachgeholt. „Zehn Jahre erfolgreiche Stiftungsarbeit bedeutet auch, zum Erfolg der Menschen in der Region beizutragen“, sagte Stiftungsvorstandsmitglied Annette Mehlmann, die selbst langjährige Leiterin der EFL war. Anlass für die Gründung sei damals eine finanzielle Notlage der Beratungsstelle gewesen, die eine Welle der Unterstützung nach sich zog. Aus den Spendenmitteln wurden die Stiftungen gegründet, sodass nun jährlich ein nicht unerheblicher Betrag von dort an die EFL ausgeschüttet werden kann. Denn auch wenn der Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein, wie Superintendent Peter-Thomas Stuberg eingangs erläuterte, den Hauptanteil der Finanzierung stemmt und auch Mittel aus öffentlicher Hand fließen, bleibt eine Lücke, die aus Spenden sowie jährlichen Zuwendungen der Stiftung verringert wird. EFL-Leiterin Simone Weiß verwies auf die steigende Zahl an neuen Beratungsanfragen – allein im ersten Quartal 2023 ein Plus von mehr als 37 Prozent. „Unsere Arbeit wird immer wichtiger“, sagte Weiß in Richtung der Anwesenden Stiftungsmitglieder, Spender und Förderer. „Daher ist es für uns sehr entlastend und notwendig, dass wir Sie alle an unserer Seite wissen.“
Als „kleine Zeitenwende“ in der Geschichte der EFL bezeichnete der Stiftungsvorstandsvorsitzende Gerd Doege die Stiftungsgründung, und schlug so den Bogen zum Titel des Festvortrags von Rüdiger von Fritsch. Mit von Fritsch sei ein Diplomat der Einladung der EFL-Stiftungen gefolgt, „dessen Aufgabe es war, im Auftrag unseres Landes Mauern einzureißen und Brücken zu bauen“. Von Fritsch selbst würdigte das Stiftungsjubiläum als Beispiel für gelungenes bürgerschaftliches Engagement, das ihn zuversichtlich für die Zukunft von Deutschland stimme – auch in den unsicheren Zeiten, von denen sein differenzierter und doch kurzweiliger Vortrag handelte.
Trauma und Machtverlust
Von Fritsch hat als Botschafter in Moskau Putin mehrfach selbst getroffen und den Kreml genau kennengelernt. Das russische Trauma über den Zerfall der Sowjetunion und den damit einhergehenden Machtverlust, aber auch Putins Mentalität als ehemaliger KGB-Offizier mit sehr präsentem Verschwörungsdenken nannte er als entscheidende Faktoren, die zum russischen Angriff auf die Ukraine geführt hätten. „Mir ist in Moskau ständig vorgetragen worden, der Westen habe Pläne, Putin zu schwächen“, sagte von Fritsch. Putin herrsche mittlerweile als Diktator über sein Land, das er mit Propaganda, Repression und einem System aus Bestechung beherrsche – mit der Folge, dass er von Vertrauten nicht mehr realistisch beraten werde. „Das führte zu einer grotesk falschen Einschätzung der Lage“, sagte von Fritsch: nicht nur in Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der russischen Streitkräfte, sondern auch auf die Bereitschaft des Westens, sich Putin entgegenzustellen. Mit Blick auf Waffenlieferungen in die Ukraine positionierte der Ex-Botschafter sich klar: „Frieden können wir nicht gewinnen, indem wir Putin ermutigen, weiterzumachen“, betonte er – und bot sogar eine theologische Begründung für seine Position. Hätte Jesus Christus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter vor dem Überfall der Räuber auf ihr Opfer begonnen, sagte von Fritsch, so hätte Jesu Botschaft an die Zuhörer sicher nicht gelautet: ‚Lasst den Überfall geschehen‘, sondern eher: ‚Helft dem Mann schon jetzt‘.
Im Anschluss an den Vortrag trug sich von Fritsch im Beisein von Bürgermeister Steffen Mues in das Goldene Buch der Stadt Siegen ein. In einer abschließenden Fragerunde stellte ihm die stellvertretende Stiftungsvorsitzende Gisela Labenz schließlich die Frage, woher er trotz erschreckender politischer Entwicklungen seine Zuversicht nehme. Hoffnung gebe ihm vor allem der Blick in die Vergangenheit, sagte von Fritsch. „Im Rückblick können wir sehen, wie es uns gelungen ist, vergangene Krisen zu bewältigen“, betonte der Diplomat – und nannte als Beispiele das Ende des Kalten Krieges, die deutsche Wiedervereinigung, die Finanzkrise und die Flüchtlingskrise.