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Die Kirche in der globalisierten Stadtgesellschaft - Talk unterm Krönchen
8.5.2024
Ein „Talk unterm Krönchen“ fand kürzlich im Rahmen des 800. Geburtstags der Stadt Siegen in der Nikolaikirche statt. Zu Gast war Peter-Thomas Stuberg, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Siegen-Wittgenstein, der mit Stefan König, Pfarrer der Evangelischen Lukas-Kirchengemeinde Siegen, über das Thema „Die Kirche in der globalisierten Stadtgesellschaft“ sprach. Die Kirchengemeinde hatte zu der abendlichen Veranstaltung mit Interview und offener Runde mit dem Publikum eingeladen. Stefan König leitete das Thema ein: „Wir leben in einer multikulturellen und multireligiösen Stadt. Vor 25 Jahren waren Gemeindefeste gut besucht und die Weihnachtsgottesdienste in der Nikolaikirche voll besetzt, sodass Menschen zum Teil auf den Treppen saßen. Was hat sich in den letzten 12 Jahren, in denen du Superintendent im Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein bist, geändert? Kannst du die Veränderung wahrnehmen?“ Das konnte der Superintendent bejahen: „Die Veränderung ist schleichend. Wir haben eine deutliche Zensur durch Corona erfahren. Alle Präsenzveranstaltungen mussten digital stattfinden. Das wirkt nach. Wenn man heute ins Kino oder Theater geht, sind Ränge leer. Es hat eine gesellschaftliche Entwöhnung stattgefunden. Das spiegelt sich auch in den Zahlen der Kirchenaustritte wider, obwohl als Gegengewicht die Anzahl der Taufen steht.“
In den Blick nahmen Stefan König und Peter-Thomas Stuberg auch die Kirchenmitgliederstudie 2023. Daraus geht hervor, dass bis 2060 nur noch ein Viertel der jetzigen Mitglieder der Kirche angehören werden. Der Superintendent erläuterte, dass die Kirchenmitgliederstudie zwar erst noch eruiert werden müsse, aber Zweidrittel der Menschen liebäugelten damit, aus der Kirche auszutreten. „Glaubensinhalte sind unbedeutend geworden“, stellt der leitende Theologe des Kirchenkreises fest: „Es ist eine geistige Leere entstanden.“ Laut der Kirchenmitgliederstudie sagen 80 Prozent der Befragten, dass sie auch ohne Kirche Christ sein könnten. „Die Selbstverständlichkeit der Zugehörigkeit zur Kirche kündigt sich auf. In früheren Jahren gab es eine Verbundenheit zur Kirche. Wenn man in der Kirche nicht präsent war, galt das Motto: Bezahlen tue ich noch, aber austreten, das tue ich nicht. Dieser Typus ist nicht mehr da. Heute leben die Menschen die ehrliche Konsequenz“, kommentierte Peter-Thomas Stuberg das Ergebnis der Studie. Er betonte: „Wir müssen plausibel machen, dass der Glaube angewiesen ist auf das Du, auf das Gegenüber, er findet nicht in der Einzelkammer statt.“
Stefan König sagte, dass die Kirche noch da relevant sei, wo sie in Kultur, in sozialer Diakonie und als moralisches Element wahrgenommen werde. Peter-Thomas Stuberg bekräftigte das: „Ja, wir haben zum Beispiel eine funktionierende Diakonie.“ Und er ergänzte: „Der Antrieb für all dies ist unser Glaube, das muss deutlich werden.“
Die beiden Theologen sprachen über einen Aufenthalt in England vor zehn Jahren, bei dem sie verschiedene Kirchenprojekte kennengelernt hatten. „Dort hieß es, es muss alles kaputtgehen, bis etwas Neues anfangen kann“, ließ Stefan König die Zuhörenden an einer Erfahrung teilhaben. An dem Punkt, wo alles eingestampft werden müsste, sieht Peter-Thomas Stuberg die Kirche allerdings noch nicht. Er nannte als Beispiel eine Gemeinde in England, die elementar nachgedacht und mit den Menschen in ihrem direkten Umfeld zusammengearbeitet habe. Die Gottesdienste seien nicht mehr sonntags gefeiert worden, sondern an einem Freitagabend, „weil am Ende der Woche viel Zündstoff in den Familien war“, erinnerte sich der Superintendent. „Die Menschen haben gemerkt, Kirche interessiert sich für das, was bei mir los ist. Kirche löst nicht die Probleme, aber sie stärkt.“ Der leitende Theologe sprach auch über den Tod von Luise im vergangenen Jahr. Als dieser die Menschen erschüttert habe, „waren wir als Kirche da. Die Kirche wurde aufgemacht, die Notfallseelsorger waren da. In der Kirche erlebten wir ein Kommen und ein Gehen.“ Hier sei Kirche besonders relevant und bedeutsam gewesen. Das Fazit des Superintendenten: „Wenn wir den Menschen vermitteln können, wird sind da, wir geben euch einen Ort, Gott nimmt dich wahr – dann hören Menschen hin, dann hören sie uns zu.“