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Der Blog der Erwachsenenbildung im Kirchenkreis Siegen
Meine Liebe zu Dir - die Tür zum Paradies. Über das Hohe Lied der Liebe
29.10.2022
Für den 20. Sonntag nach Trinitatis, also für den morgigen Sonntag, ist erstmals ein Abschnitt aus dem Hohen Lied der Liebe als Predigttext vorgesehen. Seitdem die sogenannten Perikopenordnung überarbeitet wurde, tauchen bislang "unbepredigte" Texte in unseren Gottesdiensten auf, die neue Akzente setzen. Bei "Bibel teilen digital" betrachten wir alle vierzehn Tage dienstags abends den Predigttext des darauffolgenden Sonntags. Bei unserem letzten Treffen also einige Verse aus dem 8. Kapitel des Hohen Liedes. Unsere Austausch war anregend und kreativ...
Meine Liebe zu Dir
Meine Liebe zu Dir ist zart und sanft,
wie das erste Grün im Frühling,
das sich tapfer und beharrlich
durch die kalte, harte Erde schiebt,
der Sonne entgegen.
Meine Liebe zu Dir ist warm,
wie Sommersonnenstrahlen,
die fordernd die Blüten streicheln und
liebkosen, damit sie Früchte tragen mögen,
zur rechten Zeit.
Meine Liebe zu Dir ist stürmisch,
wie der Herbstwind, der die Wellen
hart und unablässig
an die Felsen treibt,
den Bäumen die Blätter raubt,
die satten, reifen Ähren
auf den Feldern wogen lässt
und laut und urgewaltig
Wolkenbilder vor sich hertreibt.
Meine Liebe zu Dir ist wie
dichtes Schneegestöber,
wie die zarteste Schneeflocke,
die leicht und bezaubernd
durch die kalte blaue Luft
leise zu Boden schwebt,
wie filigrane Eiskristalle an Fenstern –
und wie der stille, weiße jungfräuliche Morgen
des ersten Wintertages.
Angelika Keene
Angelika Keene liebt Gedichte, den Austausch über interessant Themen, ihren Hund Tete und ihren Kater Charlie und vor allem, ihre Wurzeln im Siegerland wiedergefunden zu haben.
Das Lied der Lieder im Buch der Bücher
"Schir haschirim" - Lied der Lieder, so heißt das von Luther so genannte "Hohe Lied" in der Hebräischen Bibel. Wie ist dieses Lied, das die menschliche Liebe besingt und preist in den Kanon der Bibel hineingelangt? Diese Frage scheint mehr als berechtigt, angesichts der Leibfeindlichkeit der Kirche. "Kein Sex vor der Ehe!" - gab es einen frommer Siegerländer Jugendkreis der diese Forderung in den siebziger und achziger Jahre nicht beständig auf seiner Agenda gehabt hätte?
"Die Liebe erscheint religiös viel zu oft und zuallererst das, was reguliert werden muss", schreibt Alexander Deeg in den "Göttinger Predigtmeditionen" und weist darauf hin, dass sich die Verse aus dem 8. Kapitel des Hohen Liedes auf Sprüche 6, 20-35 bezieht, wo vor der gefährlichen Seite der Sexualität und des Begehrens gewarnt wird. Offenbar wurde bei der Zusammenstellung des alttestamentlichen Kanons deutlich, dass "noch einmal neu und noch einmal anders von der Liebe geredet werden muss".
Und so besingen nun im Hohen Lied "zwei Menschen ihre Lust und Liebe, ihre Sehnsucht und ihre Träume. Es ist eine freie, von keinem Ehevertrag und keinen gesellschaftlichen Konventionen domestizierte Liebe; und es ist, zumeist, Liebe im Freien - eine Liebe, für die Flora und Fauna in ihrer ganzen Pracht und Vielfalt zu einem unerschöpflichen Gleichnnis werden". (Frettlöh, 2020)
Hohes Lied 8,1-7:
1 Wärest du mir doch ein Bruder, der die Brust meiner Mutter gesogen! Fände ich dich dann draußen, könnte ich dich küssen, und man dürfte mich dennoch nicht verachten.
2 Ich würde dich führen, dich hineinbringen ins Haus meiner Mutter, die mich unterrichtete. Ich würde dir vom Würzwein zu trinken geben, vom Most meiner Granatäpfel.
3 Seine Linke läge unter meinem Kopf, und seine Rechte umfasste mich.
4 Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems: Was wollt ihr wecken, was aufstören die Liebe, bevor es ihr selber gefällt!
5 Wer ist sie, die da heraufkommt aus der Wüste, an ihren Geliebten gelehnt? Unter dem Apfelbaum habe ich dich geweckt, dort empfing dich deine Mutter, dort empfing sie dich, die dich gebar.
6 »Leg mich wie ein Siegel an dein Herz, wie ein Siegel an deinen Arm! Denn stark wie der Tod ist die Liebe, hart wie der Scheol die Leidenschaft. Ihre Gluten sind Feuergluten, eine Flamme Jahs.
7 Mächtige Wasser sind nicht in der Lage, die Liebe auszulöschen, und Ströme schwemmen sie nicht fort. Wenn einer den ganzen Besitz seines Hauses für die Liebe geben wollte, man würde ihn nur verachten.«
Allerdings wurde das Hohe Lied wohl von Anfang auch geistlich gedeutet - als Ausdruck der Beziehung zwischen Gott und Israel. Später im Christentum dann als Beziehung zwischen Gott und der Kirche, zwischen Gott und der einzelnen Seele, oder, in einer speziellen Lesart, zwischen Gott und Maria. Erst in jüngerer Zeit ging man dazu über, das Hohe Lied auch wieder als einen poetischen Text zu verstehen, der die menschliche Liebe beschreibt.
Dabei können beide Interpretationsmöglichkeiten gleichberechtigt nebeneinander stehen, ja sich wechselseitig befruchten. Darauf weist Franz Rosenzweig, der jüdische Religionsphilosoph in "Stern der Erlösung" hin:
"Nicht obwohl, sondern weil das Hohe Lied ein "echtes", will sagen: ein "weltliches" Liebeslied war, gerade darum war es ein echtes "geistliches" Lied der Liebe Gottes zum Menschen. Der Mensch liebt, weil und wie Gott liebt".
Zu einer geistlichen Deutung des Hohen Liedes hat sich Anke Degenhardt inspirieren lassen, in Wort und Bild. Sie hat sich faszinieren lassen von dem Gedanken, dass die eigentlich hermetisch verschlossenen Pforten des Garten Edens (siehe Genesis 3) sich in der Liebe öffnen. Anke Degenhardt schreibt:
Je mehr und je länger ich mich mit dem Hohelied beschäftige, desto mehr ändert sich auch meine Sicht auf G*TT – Mein Gottesbild!
G*TT ist jünger, als ich bisher dachte. Er ist körperlicher, reizvoller, voller Kraft und Tatendrang. G*tt bewegt sich, er/sie/es ist nicht starr. Er/sie/es genießt das Leben und die Schöpfung. Er/sie/es ist leidenschaftlich.
G*TT ist m/w/d – immer gerade das, was ich brauche.
G*tt ist Vater/Mutter/Trost.
G*tt die Quelle der Liebe.
Das Hohelied setzt diese Liebe allegorisch in eine perfekt inszenierte Liebesbeziehung um. Die meisten Menschen kennen das. Selbst die, die diese perfekte Verbindung zwischen Menschen nicht persönlich erlebt haben, haben eine Vorstellung davon.
Die perfekte Liebesbeziehung zu G*TT haben – Ein Traum wird wahr. Die Tür zum Paradies öffnet sich.
„In der Liebe öffnet sich die Tür zum Paradies!“
Anke Degenhardt, hauptberuflich als Verwaltungsangestellte beim Kreis Siegen-Wittgenstein tätig ist begeisterte Bibelgeschichtenerzählerin. Seit Anfang 2022 tut sie dies als Prädikantin im Ev. Kirchenkreis Siegen.
Einen weiteren Akzent setzt Regine von Münchows Handlettering. Hier ihre Impression zu Hohes Lied 8,6a.
Eine Teilnehmer:in schreibt zu Regines Lettering: "Das Bild, wundervoll gemalt, erinnert mich an die Menora, die vor der Knesseth steht. Dort, wo Du das Wort Liebe in ein Herz gezeichnet hast, steht dort das jüdische Glaubensbekenntnis, das Sh`ma Israel in einem Flammenkreis! Beides verbindet G-tt und Liebe. Genial!"
Regine von Münchow, wohnt in Burbach und arbeitet im Personalwesen einer großen Spedition. Sie ist Mitglied der Ev. Kirchengemeinde Burbach und engagiert sich im Vorstand der Ev. Gemeinschaft Burbach, sowie im Chor und als Mitarbeiterin bei den Königskindern (früher Sonntagsschule). Sie schreibt: "Meine gute Handschrift habe ich sicher von meinem Vater geerbt und
2017 noch durch einen "Handlettering-Kurs" bei dem Kirchenkreis Siegen
erweitert. Das macht mit viel Spaß und ich verbinde das Lettern mit selbstgebastelten Karten".
Zum Abschluss sei eine weitere Teilnehmerin zitiert, die unsere Reflektionen auf den Punkt bringt:
"Gott gab uns das Herz nicht, um zu hassen, sondern um zu lieben."