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Der Blog der Erwachsenenbildung im Kirchenkreis Siegen

In der Wüste oder: Hagar kehrt zurück

2.5.2024

Kürzlich haben wir in unserer Veranstaltungsreihe "Bibel teilen digital" über Hagars Geschichte nach 1. Mose 16,1-16 gesprochen. Wir haben versucht, uns in die handelnden Personen hineinzufühlen. Dabei kamen zwei von uns auf die Idee, Hagars Geschichte nachzuerzählen. Ihre Geschichten sind so spannend, dass sie hier auf dem Blog nachzulesen sein sollen. Angelika Merfort hat die Geschichte gleich zweimal erzählt. Einmal mit einem alternativen Schluss ("In der Wüste") und einmal ganz ähnlich, wie sie die Bibel erzählt ("Hagar kehrt zurück").

 

© Walkerssk@pixabay

In der Wüste

 

„Ich halte das nicht mehr aus! Jeden Tag demütigt Sarai mich, schlägt mich wegen Kleinigkeiten oder manchmal auch nur, weil ich ihr über den Weg laufe. Ich kann das nicht mehr ertragen. Und Abram? Der hält sich da ganz schön raus. Erst nähert er sich mir und dann überläßt er mich ganz allein Sarai. Es stimmt, ich bin ihre Magd. Aber Abram hat bei mir gelegen und Sarai wußte davon. Ja, soviel wie ich weiß, hat Sarai Abram zu mir geschickt! Und jetzt haßt sie mich nur noch.

 

Ich muß an mein Kind denken, das in mir wächst.  In dieser Nacht werde ich fortgehen. Die Wolken verdunkeln den Mond und man wird mich so schnell nicht vermissen. Es ist gefährlich, ich weiß das. Aber hierbleiben kann ich auch nicht. Ich weiß keinen anderen Ausweg.

 

Hagar packt ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und versteckt sie in ihrer Schlafstatt. Als es ruhig ist und hier und da nur ein tiefes Schnarchen die Nachtruhe stört, schleicht sich Hagar aus dem Lager, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend. Nur kurz schaut der Mond durch eine Wolkenlücke und beleuchtet ihren Weg. Es ist kein gutes Gefühl, sich so aus dem bisherigen Leben und einer sicheren Umgebung zu stehlen. Sie bleibt stehen und hofft, dass der Mond und die Sterne ihren weiteren Weg vielleicht doch erhellen.

Hagar stolpert weiter. „Autsch“, und ihre Hand fliegt sogleich auf den Mund. Ihr Fuß ist gegen einen großen Stein gestoßen, den sie in der Dunkelheit übersehen hat. Hagar verliert bald jedes Zeitgefühl und geht vorsichtig weiter. Oft bleibt sie auch stehen und hält die Luft an. Aber bis jetzt ist ihr offensichtlich noch niemand gefolgt.

 

Irgendwann läßt sie sich einfach nieder. Spitze Steine machten das Sitzen und Liegen sehr unangenehm, aber sie ist so erschöpft, dass sie einfach nicht mehr weitergehen kann. Ich hoffe, ich bin inzwischen weit genug vom Lager entfernt, denkt es, und ihre Augen fallen vor Erschöpfung zu. Das Kind regt sich in Hagars Bauch und sie legt im Schlaf instinktiv eine Hand schützend darauf.

Irgendwann schreckt sie schweißgebadet auf. Gedanken wirbeln durcheinander. Was tue ich hier? Mitten in der Wüste. Wohin soll ich mich wenden. Ich kenne nichts und niemanden. Wie soll ich mit meinem Kind überleben? Was habe ich bloß getan? Und sie bedeckt ihr Gesicht mit ihren Händen. Tränen der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit rinnen durch ihre Finger. Wäre es im Lager nicht doch erträglicher geworden, wenn sie sich vielleicht mit Sarai hätte verständigen können? Jedenfalls bedeutet das Lager Sicherheit und Hunger und Durst gibt es dort auch nicht.

 

Hagar kann sich gar nicht mehr beruhigen. So viele Gedanken rasen durch ihren Kopf. Eine nie gekannte Angst kriecht durch ihren Körper. So irrt sie tagelang durch die Wüste. Durst verwirrt inzwischen ihre Sinne und ihre Kräfte lassen langsam nach. Irgendwann stolpert sie und fällt. Die Kraft zum Aufstehen hat sie nicht mehr. Nacht legt sich wie ein schweres schwarzes Tuch über Hoffnungslosigkeit.

 

Der nächste Tag dämmert und breitet einen glühendroten Sonnenaufgang über der Wüste aus. Der Augenblick versöhnt Hagar ein wenig. Sie weiß nun auch, dass sie in die richtige Richtung geht, um irgendwann in ihrer Heimat anzukommen.

 

In der Ferne bewegt sich etwas. Gegen die Sonne kann Hagar jedoch noch nichts erkennen. Sie vermutet eine Gruppe Menschen, der sie sich vielleicht anschließen kann? Hoffnung keimt in ihr und mit letzter Kraft richtet sie sich auf, um dieser Gruppe entgegenzugehen. Als die Menschen näherkommen, erkennt Hagar, daß sie sich schrecklich geirrt hat. Es gibt jedoch nichts, wo sie sich hätte verstecken können. Es bleibt ihr nichts anderes übrig als dem Schicksal entgegenzutreten.

 

 Sie hört inzwischen Peitschen knallen und das anschließende Stöhnen und Wimmern von Menschen unter schrecklichen Bedingungen.

 

 

 

Hagar kehr zurück

 

Hagar hat das Gespräch zwischen Sarai und Abram gehört, nicht gelauscht, aber da sie in der Nähe der Schlafstätte der beiden zu tun hat, läßt sich das nicht vermeiden.

 

Sie ist empört. Zuerst. Dann setzte sich jedoch ihr Überlebenswille durch. Als Sarais Sklavin hat sie in dieser Gemeinschaft nichts zu sagen und sie ist Sarai ganz ausgeliefert. Gut. Sie hätte es noch schlimmer treffen können. Aber es ist etwas anderes einem Mann gegeben zu werden, damit ein Kind gezeugt wird. Hagar hat jedoch keine Wahl.

 

Als sie merkt, dass sie schwanger ist, freut sich Abram und Sarai zuerst auch.

Für Hagar, die Sklavin, hat sich jetzt die Position in der Hierarchie der Gemeinschaft enorm verbessert. Sie ist sich nun ihrer besonderen Stellung in der Gemeinschaft bewußt und das macht sie arrogant. Sie läßt Sarai zu jeder Gelegenheit wissen, daß sie ein Kind erwartet und Sarai zu alt ist, um überhaupt noch Mutter zu werden. Sarai  empfindet Hagars Verhalten als zutiefst verletzend, obwohl sie selbst diese Situation herbeigeführt hat, jedoch hat sie solch ein Verhalten Hagars nicht vorhersehen können. Irgendwann treibt es Hagar aber zu weit und Sarai kann den Anblick von Hagar nicht länger ertragen. Auch zu sehen, wie Hagars Bauch anschwillt und das Kind darin wächst. Es hätte Sarai sein sollen, nicht Hagar.

 

Sarai wird immer ungerechter Hagar gegenüber und sie macht Hagars Leben unerträglich. Letztendlich befiehlt Sarai ihr, das Lager zu verlassen. Jetzt. Sofort.

 

Hagar hat gerade noch Zeit, ein paar Sachen zusammenzuraffen und dann treibt man sie hinaus in die Wüste.

 

Das ist ein grausames Spiel. Hagar hat nichts zu essen und zu trinken dabei. Ein paar Tage hält sie durch und wandert ohne Ziel durch die Einöde. Die Sonne blendet ihre Augen und der Sand brennt unter ihren Füßen. Als sie endlich auf einen Brunnen trifft, läßt sie sich dort erschöpft nieder, Hoffnungslosigkeit breitet sich in ihr aus und dunkle Gedanken setzen sich fest. Soll sie wirklich weiter durch die Wüste ziehen, um vielleicht, wenn überhaupt, unbeschadet in ihrer Heimat ankommen? So allein, schwanger und ohne Schutz? Sie schüttelt den Kopf und schlägt die Hände vors Gesicht. Dicke Tränen quellen durch die Finger und tropfen in ihren Schoß.

 

Als sie sich wieder etwas beruhigt hat und aufschaut, nimmt sie eine Bewegung in der Ferne wahr, eine Person, die auf sie zukommt. Hagar fürchtet sich sehr. Aber als die Erscheinung sie leise und sanft anspricht, verspürt sie plötzlich einen tiefen Frieden in sich. Der Engel des HERRN fragt sie, warum sie ganz allein in der Wüste unterwegs sei, und Hagar beginnt zu erzählen, froh, dass sie nicht mehr so allein in der Ödnis ist. Als sie geendet hat und den gütigen Blick auf sich spürt, strömt plötzlich wieder Kraft durch ihren Körper.

 Der Engel des HERRN verläßt sie so leise wie er gekommen ist und Hagar hat das Gefühl, nur geträumt zu haben. Aber seine Worte vergißt sie nicht und denkt darüber nach. Es gibt eigentlich keine Alternative für sie.

Die Erscheinung hat ihr einen Weg gezeigt, der zwar Mut erfordert, aber in ihrer Situation der bessere Weg ist. Gott, erkennt sie, hat zu ihr durch den Engel gesprochen. ER hat sie gesehen und ihr Elend. Sie ist erfüllt von Ehrfurcht und neuer Zuversicht.

 

Hagar wird auf Sarai zugehen. Wird Sarai das zulassen? Hagar ist doch nur eine Sklavin. Aber sie weiß Gott an ihrer Seite, der Engel des HERRN hat ich Mut gemacht. Sie würde in Demut ihre Arbeit verrichten und Abrams Kind zur Welt bringen. Es soll Ismael heißen, so wie der Engel des HERRN es ihr befohlen hat.

Sie fühlt, dass in ihr etwas ganz Besonderes heranwächst und dadurch schöpft sie Kraft, um des Kindes willen.

 

 

© Bildquelle privat

Angelika Merfort liebt das Schreiben. Zwei ihrer Gedichte wurden im "Jahrbuch für das neue Gedicht" (Gedicht und Gesellschaft) veröffentlicht, zuletzt in diesem Jahr. Gedichte schreiben ist der Siegenerin ganz wichtig, weil sie so intensiv nachdenken kann über die verschiedensten Aspekte des Lebens, der Natur, Gesellschaft etc.  Zunehmend beschäftigt sie sich auch mit religiösen Texten und versucht die Bibel dadurch besser zu verstehen. Seit 2023 nimmt Angelika Merfort teil an einer Weiterbildung zum Schreiben von Gedichten und Kurzgeschichten der Cornelia-Goethe-Akademie in Frankfurt teil.

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