Pastor Ijewski zum Abschied von Luise

Predigt in der Trauerfeier für die getötete zwölfjährige Luise in der Evangelischen Kirchengemeinde Freudenberg von Pastor Thomas Ijewksi

Liebe Familie, liebe Freunde und Nachbarn, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, liebe Mitschüler aus Luises Klasse!

 

Uns allen ist jetzt unsäglich schwer ums Herz. Wir alle ringen um Fassung. Niemand von uns kann in Worte kleiden, was uns durch den Kopf geht. Aber wir sind zusammen. Wir halten zusammen. Wir lassen uns nicht los. In dieser Kirche haben wir Luise getauft. Haben sie Gott ans Herz gelegt. Hier nehmen wir auch von ihr Abschied.

Der geschmückte Sarg bei der Trauerfeier für Luise in der evangelischen Kirche in Freudenberg.
Der geschmückte Sarg bei der Trauerfeier für Luise in der evangelischen Kirche in Freudenberg.

Zwölf Jahre lang hatte sie ein wunderschönes Leben. Sie wuchs auf in der Geborgenheit einer liebenden Familie. Sie konnte sich freuen über manches Großartige und über hunderttausend Kleinigkeiten: Freuen über Urlaube in fremden

Ländern, wo sie getaucht ist wie eine Meerjungfrau. Konnte sich freuen über ein paar Tulpen, deren Schönheit sie inspiriert hat. Die Tiere waren ihr am wichtigsten, nicht nur die Meerschweinchen im Garten, auch Regenwürmer, die sie von der Straße sammelte, damit sie nicht überfahren würden. Oft war Eure Liese erfüllt von unbändiger Freude, laut und flippig werdet Ihr sie in Erinnerung behalten. Das Bild hier in der Kirche und auf der Traueranzeige hat einen dieser Momente eingefangen: Lebensfroh weht der Wind durch ihr Haar, Leichtigkeit und Lebenslust leuchten uns entgegen.

Diese wunderschönen Erinnerungen sind Euch nicht zu nehmen, viele Erinnerungen an sie werden uns begleiten unser Leben lang.

 

Doch dann, vor zehn Tagen wurde alles anders. Das so traumhafte Leben endet in einem Alptraum. Stunden voller Bangen und Hoffen. Eine stockfinstere Nacht, erhellt nur durch die flackernden Blaulichter und die Lichtkegel der Suchmannschaften. Stunden der Hoffnung, Stunden des vollen Einsatzes von so vielen, Stunden, wo unzählige Gebete in den Himmel geschickt wurden. Doch am Ende alles umsonst. Sie wurde gefunden, alle Hoffnungsfunken verglimmt. Es war Luise, die sie im Wald gefunden haben, es war Eure Luise, unsere Luise, und sie war tot. Die Welt hörte auf sich zu drehen, der Boden unter Euren Füßen war weggerissen. Wer wollte ermessen, was Ihr durchmacht? Wer wollte erahnen, wie überwältigend Euer Schmerz? Und wer wollte es wagen, Euch Trost spenden zu können?

 

Doch bei aller scheinbaren Trostlosigkeit seid Ihr nicht gänzlich ohne Trost. Ihr findet Trost in der festen Gewissheit, dass Eure Liese sogar noch im Tode für andere Gutes tun kann. Mit ihrem Tod, so habt Ihr mir geschrieben, hat Luise so viel bewirkt: Wildfremde Menschen gehen aufeinander zu, teilen ihre tiefsten Gefühle, sind füreinander da. Menschen kommen einander näher, und Hass darf keine Chance haben.

 

Einen dreifachen Trost dürfen wir mit Euch teilen.

Es ist zum ersten der Trost dieses Ortes. Dieses Ortes der Kirche, in dem viele Menschen an Euch gedacht haben, Kerzen entzündet, Blumen mitgebracht, ein paar Zeilen auf die leeren Seiten der Kondolenzbücher geschrieben. Manche Menschen haben gebetet, andere haben einfach die Stille auf sich wirken lassen. Wieder andere haben das Gespräch gesucht. Die Kirche, ein Ort des Trostes. Mehr noch: Das, was hier an dem Gedenkort in unserer Kirche geschah, das passierte und passiert noch in unserm ganzen Ort, in unserer Stadt Freudenberg. Wie trostreich  zu erleben, wie wir zusammenstehen und Eurer Leiden mit zu unserem Leiden machen. Das ist der Trost des Ortes.

 

Es ist zum zweiten der Trost eines Weges, den wir miteinander gehen. So viele haben sich heute aufgemacht: Eure Freunde hierher in die Kirche, viele hundert Menschen zur Aula ins Schulzentrum. Wollen ein Stück Eures Leidensweges mit Euch teilen, einfach mitgehen. Wenn wir durchs finstere Tal gehen, sind wir nicht allein. Inständig hoffe ich, dass viele von uns auch in der Zukunft mit Euch gehen. Wenn andere Themen die Titelseiten der Zeitschriften und die Live-Sendungen bestimmen. Wenn andere Aufgaben den Alltag von uns Menschen ausfüllen, dann werdet Ihr immer noch jeden Tag an Luise denken. Da müssen wir noch einen weiten Weg mit Euch mitgehen, nicht nur heute und morgen, sondern nächste Woche, nächsten Monat, nächstes Jahr und darüber hinaus.

 

Es ist zum dritten der Trost einer Person, den wir euch mitgeben möchten. Diese Person hat einen Namen: es ist Jesus von Nazareth. Ganz zaghaft möchte ich von Jesus sprechen, so quälend sind die Fragen, die sich gerade uns Glaubenden stellen, so berechtigt alle Zweifel. Aber es war Luises Patentante, der es aufgefallen ist: Das Sterben von Luise erinnert

so deutlich an das Sterben von Jesus! Die Passionszeit, die wir in der Christenheit jetzt erleben, sie umfasst auch Eure

Leidenszeit. Jesus von Nazareth, der Sohn Gottes, der ein Kind war wie Luise, wurde auch einmal von seinen Eltern vermisst. Als Zwölfjähriger wurde er gesucht, Stunden der Verzweiflung für Maria und Josef. Sie immerhin fanden ihr Kind glücklich wieder… In seinem Leben war er später den Leidenden besonders nahe. Hat bitterlich geweint, als sein Freund Lazarus gestorben war. War dem jungen Mann nahe, in der Stadt Nain, der mit einer großen Volksmenge im Sarg zu Grabe getragen wurde. Und am Ende seines Lebens wurde Jesus von einem seiner engsten Freunde verraten. Qualvoll starb er, verhöhnt, Wundmale an seinem geschundenen Körper.

 

Ja, ich kann es nicht anders sagen: dieser Jesus hat Luises Leiden am eigenen Leib geteilt. Geteilt ihren Schmerz, ihre Angst, ihre Hilflosigkeit und Verlassenheit. Darf ich euch die Hoffnung weitergeben, dass er ebenso auch seine Auferstehung mit Luise teilt? Dass er den Tod nicht siegen lässt, die Verzweiflung und Dunkelheit. Sondern dass er in der Nacht zum Ostersonntag den Sieg über den Tod errungen hat?  Den Sieg der Liebe über den Hass, den Sieg des Lichts über die Finsternis, den Sieg des Lebens! Darf ich Euch diese Hoffnung ins Herz legen, dass der auferstandene, lebendige Jesus schon längst die Luise in seine Arme geschlossen hat?

 

Das jedenfalls ist der Trost, den ich Euch an diesem Ort mit auf Euren Weg geben möchte. Der Trost, dass Eure Liese jetzt nahe bei Jesus ist. Dass Jesus ihr schlimmes Ende geteilt hat. Und dass er jetzt das Leben mit ihr teilt. Dass Luise jetzt in seiner Ewigkeit ist und dort Ruhe und Frieden hat. Diese Hoffnung wünsche ich Euch und uns allen von ganzem Herzen.

 

Amen.

get connected